Es geht hier um das Heftchen aus der „Sammlung Göschen“, Band 103, 3. Auflage, Walter de Gruyter & Co., Berlin 1965.

Zur Gliederung:

I. Begriff, Gegenstand, Methoden und Ziele der Industrie- und Betriebssoziologie (S. 5)

II. Die Entwicklung der Industrie- und Betriebssoziologie (S. 20)

III. Zur Sozialgeschichte der Industrie, S. 55

IV. Das Sozialsystem des Industriebetriebs, S. 68

V. Betriebliche und industrielle Konflikte, S. 92

VI. Zur Soziologie der industriellen Arbeit, S. 107

VII. Industrie und Gesellschaft, S. 119

Diese Besprechung kam dem Rezensenten gerade in der aktuellen Phase der aktiven Deindustrialisierung Deutschlands geradezu etwas skurril vor. Jede Woche liest man von einem Arbeitsplatzabbau bei ehemaligen Konzernen – und dann liest man im „Spiegel“ (Ausgabe vom 26.9.), daß 80 % der Teilnehmer einer Umfrage auf „Spiegel online“ am „Verbrenner Aus“ festhalten. Da kann man nur nüchtern konstatieren: 80 % der Umfrageteilnehmer haben das Problem nicht erfaßt.

Sei es wie es sei, hier geht es um die Aufbruchstimmung der 60er. Als Autor wird angegeben: „Prof. Dr. Ralf Dahrendorf, Ph.D.“, Universität Tübingen.

Der erste Satz lautet:

Nicht ohne Grund spricht der Soziologe von den Gesellschaften der westeuropäischen, nordamerikanischen und auch schon russischen Gegenwart als industriellen Gesellschaften. [S. 5]

Die Auswirkungen der industriellen Lebensweise auf die Familien, die „intimsten Bereiche des sozialen Lebens der Menschen“, werden ausgeführt. Und einige Zeilen weiter:

Die Gesellschaft aber, in der wir leben, erhält ihr Gepräge durch die Industrie. [S. 5]

Gustav Schmoller wird zitiert mit seinem „Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre“ und drei Faktoren seien ausschlaggebend für die Entstehung einer systematische Industrie- und Betriebssoziologie:

(1) die stärkere Beschäftigung der allgemeinen Soziologie mit den Problemen der Industrie- und des Industriebetriebes. (2) die Hinwendung zur empirischen Sozialforschung und Verfeinerung ihrer Methoden und (3) die allmähliche Entdeckung des „menschlichen Faktors“, d.h. der Realität nichtökonomischer Strukturen und Phänomene in der Industrie [S. 26]

In meinen Augen ist die ehemals so starke soziologische quantitative empirische Sozialforschung in den letzten knapp 20 Jahren mehr oder weniger komplett zusammengebrochen. Bei vielen Internet-Umfragen hat man das Gefühl, auch ehemals auf Qualität bedachte Publikationorgane verzichten auf die Begleitung der Forschung durch einen quantitativ ausgebildeten Soziologen.

Damals ging es noch aufwärts mit der empirischen Sozialforschung, „Zur Verfeinerung der Methoden der empirischen Sozialforschung in der Industrie trugen insbesondere […] und des Vereins für Sozialpolitik in Deutschland“ bei. [S. 27]

Elton Mayo und das Hawthorne-Experiment, S. 37

Schließlich hat die Industrialisierung fast stets Armut und Elend bei der Lohnarbeiterschaft zur Folge. [S. 62]

Der Rezensent ist großer Anhänger der Rollentheorie Dahrendorfs, hier ist nur ein kurzer Bezug darauf zu lesen:

Die „sozialen Strukturen“ sind stets in erster Linie Strukturen sozialer Positionen und Rollen, d.h. verfestigte Formen von Beziehungen, die den Einzelnen mit der verbindlichen Kraft sanktionierter Erwartungen gegenübertreten. [S. 70]

„Informelle Gruppen“, S. 91

„Konflikte“ werden immer wieder in verschiedenen Kapiteln angesprochen, vor allem S. 92ff.

Der „Wunsch nach Sicherheit“ eines Arbeitsplatzes wird auch schon angesprochen, S. 116, „ist ebenfalls oft eine stärker bewegende Kraft als der Lohn.“

Der letzte Satz:

Wie die Berufsrolle im Zentrum des sozialen Lebens des Einzelnen, so steht die Industrie heute im Zentrum der Gesellschaft und die Industrie- und Betriebssoziologie im Zentrum der Soziologie. [S. 129]

Das Buch liest sich flüssig, ist klar strukturiert, immer lesbar, nicht durchsetzt mit Fußnoten und überwiegend werturteilsfrei.

Es folgen sieben Seiten Literaturhinweise, deutsche und US-Literatur halten sich etwa die Waage.

Dann noch sechs Seiten Personenregister.

Inzwischen steht Deutschland vor einer ganzen Reihe von existenziellen Herausforderungen. Die Deindustrialisierung ist inzwischen langsam auch für Nicht-Sozialökonomen erkennbar. „Made in China“ – fast überall ist es zu lesen, wenn man sich systematisch die Mühe macht, die Produkte zu erfassen. Es wird in den Augen des Renzensenten bald eine Gegenbewegung geben. Nicht unter dem aktuellen Kanzler F.M., dieser hat in den Augen des Autors den Ernst der aktuellen Lage, auch die starken ökonomischen Zwänge, die durch eine völlige Fehlsteuerung der letzten 15 Jahre entstehen konnte, bis dazu nicht adäquat erfaßt. Zentral ist in den Augen des Autors das demographische Problem, das bisher von keinem Kanzler als „Chefsache“ erkannt worden ist. Es wird auch in den Augen des Autors eine Gegenbewegung geben, auch in Deutschland, was die Migration angeht. Teilweise gibt es Schulen mit 95 % Migrationsanteil. Wünschenswert wäre gewesen, die deutsche Führungsebene hätte die Problematik selbst erkannt und würde nicht in einem Jahr (so die Schätzung des Autors) dem US- und dem UK-Vorbild folgen.

Eine sozialökonomische Aufarbeitung der Gründe der Deindustrialisierung wäre wünschenswert. Auch Forschungsprojekte für die Re-Industrialisierung oder Neo-Industrialisierung (wie man es auch immer nennen mag), die aufgrund des Pendelcharakters vieler sozialökonomischer Phänomene in den Augen des Autors unausweichlich sein wird.

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